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Donnerstag, 4. Oktober 2012

Der Triathlon

Mir fehlen ein wenig die Worte. Ich sitze hier in meinem kleinen bescheidenen Zimmer,  7 Uhr morgens des 27.09.12, zweiter Tag nach meiner Ankunft in Japan. Ich habe ca. 6 Stunden geschlafen. Das ist mehr, als letzte Nacht, da waren es nur 5 gewesen. Die Reizüberflutung hat meinen Kopf fast wahnsinnig gemacht. Insbesondere, da ich ständig darüber nachgedacht habe, wie ich das, was ich gerade sehe, später aufschreiben soll.  Ich habe mir nun erstmal Musik an gemacht. Das sollte helfen, die Gedanken zu sortieren. Fangen wir an....


Das Wohnheim (国際交流会館)



Ich stieg, wie erwartet, mit einer dicken Erkältung ins Flugzeug. Der Airbus 380 war wirklich riesig, auch von Innen. Ich hatte einen Fensterplatz reserviert, was eine gute Sache war. Die Sitzreihen waren aufgeteilt in jeweils 3 Sitze an beiden Außenseiten und eine 4er Sitzreihe in der Mitte, die Gänge jeweils dazwischen. Der Start verlief, wie eigentlich der gesamte Flug, völlig problemlos. Sobald ich auf meinem Platz saß, setzte ich auch schon meine Chirurgenmaske auf, da ich mit meiner Husterei nicht die ganzen anderen Passagiere anstecken wollte. Die Sitzreihen waren so weit auseinander, dass man im Vergleich zu anderen Flugzeugen sogar angenehm Beinfreiheit geniessen konnte. Die Sitze selbst waren nicht die bequemsten, aber völlig ausreichend meiner Meinung nach… hätte ich nur nicht so viele Klamotten dabei gehabt. Diese haben mich sehr eingeschränkt.  An der Rückseite jedes Sitzes waren kleine Touchscreens angebracht, auf denen man sein “Unterhaltungsprogramm” einstellen konnte. Zur Auswahl stand einiges. Angefangen von den Grundinformationen zum Flug mit Satelliten und 3D Animationen, Außenkameras an verschiedensten Positionen des Flugzeuges über Radio und Musikauswahl bis hin zu einer halben Videothek an Spielfilmen ließ sich alles auf dem Bildschirm abspielen. Kopfhörer lagen kostenlos bereit. Ich genoss ein wenig die Landschaft nach dem Start und stellte dann das Display auf Entspannungsmusik ein. Einschlafen waren allerdings unmöglich, da ständig Durchsagen gemacht wurden, und eigentlich auch noch das Abendessen zu erwarten war. Als dieses dann an stand, hatte man typisch Deutsch oder typisch Japanisch zu Auswahl. Ich wählte letzteres, eine Art paniertes Hühnchen mit Nudeln, Gemüse und Pilzen. Überraschend lecker für Flugzeugfraß. Getränke gab es kostenlos so viel man wollte. Ich blieb überwiegend bei Wasser und Tee. Die an das Essen folgenden 9 Stunden Flug verbrachte ich mit dem Versuch zu Schlafen, der kläglich an meiner Erkältung und der überall flackernden Displays (jeder schaute sich scheinbar Filme an) scheiterte. Irgendwann schaute ich auch einfach dann ein oder zwei Filme auf der Sitzreihe vor mir (zwischen den Sitzen durch) mit. Ich war immer froh, dass ich nie vor dem PC oder Fernsehn einschlafen würde, aber nun verfluchte ich diese Unfähigkeit. Stunden um Stunden vergingen. Wir flogen anfangs Richtung Berlin und anschliessend gen Osten quer durch Russland bis nach Japan. Ca. 2 Stunden vor der Ankunft bekam ich dann er recht kein Auge mehr zu, da es langsam wieder hell wurde und ich mit Spannung die ersten Blicke auf die Insel erwartete.

Und dann kam sie auch. Während ich mich mit meiner japanischen Sitznachbarin über Gott und die Welt unterhielt, beobachtete ich mit euphorischen Gefühlen das neue Land aus dem Fenster. Für einen Moment habe ich mich wie Columbus gefühlt wahrscheinlich. Das Wetter in Japan war mäßig. Leicht bewölkt mit ein wenig Regen hier und da bei einer Temperatur von ca. 20°C. Von dieser recht angenehmen Temperatur bekam ich leider Dank meines Fiebers recht wenig mit. Während ich noch Small-Talk mit meinem hinteren Sitznachbar hielt, der ein deutscher Student aus Dortmund war und noch nach Sendai weiterfliegen musste, war die Landung dann auch schon geschehen und es hieß aussteigen.
Zu diesem Zeitpunkt war ich schon reichlich übermüdet und erschöpft von der Erkältung, die einfach nicht aus meinen Knochen weichen wollte. Daher nahm ich die darauf folgenden Ereignisse eher nur noch passiv wahr. Geistesabwesend.

Check Out. Ich ging mit meinen Jacken und Taschen, die mir übertrieben schwer vorkamen, einen elendig langen Korridor entlang, zusammen mit sehr vielen Japanern und Japanerinnen und ein paar wenigen Deutschen. Ich ging einfach mit der Masse und schaute ein wenig auf die Japanisch/Englischen Schilder. Interessant an dem langem Marsch war die Tatsache, dass die Laufbänder, die die Reise beschleunigen sollten, mit einer weiblichen Japanischen Sprechanlage versehen waren, die jedesmal davor warnte, wenn man kurz davor war, das Band zu verlassen. Dort musste ich das erste Mal etwas lachen. Irgendwann erreichte ich einen Saal voll mit Menschen, aufgereiht und wartend. Ich stellte mich in die Schlange, wissend, dass das Vorhaben bis zu einer Stunden dauern könnte. Nach einer Viertelstunde Wartezeit in der Schlange kam ich an einem merkwürdigen Schild vorbei. Darauf stand irgendwas bezüglich Kurzaufenthalten von nicht mehr als 3 Monaten. Ich versuchte mich zu konzentrieren und Sprach einen Engländer neben mir darauf an. Er wusste auch nicht recht, was gemeint war, also ging ich auf einen japanischen Helper zu. Er schaute auf meinen Pass und mein Visum und verwieß mich zu einem anderen Schalter, der gerade mal 3 Menschen in der Schlange davor hatte. Das waren ca 400 Menschen weniger, als vorher. Ich freute mich.  Dieser eine Schalter brauchte dennoch ewig, um die paar Leute zu bedienen. Bei Langaufenthalten über 3 Monaten braucht man eine ID-Karte und die Prozedur dafür war langwierig. Letztenendes, bis ich die Karte hatte, war über eine Stunde vergangen und die Menschen in der langen Schlange waren längst alle schon fertig. Mein Gepäck anschliessend war auch schon nicht mehr auf dem Beförderungsband, sonder wurde von dort auf einem Wagen zu einem Infoschalter transportiert und abgestellt. Das alles zu finden hat auch dann nochmal gedauert.

Draußen?! Das zusätzliche Gewicht der Koffer nahm mir bald alle Kräfte. Ich beschloss, ohne viel Ausruhen möglichst schnell den Bus zu kriegen, um mich dann dort ausruhen zu können. Der Schalter für die Tickets war einfach gefunden, ich hatte ja einen Plan dafür bekommen. Das Ticket kostete mich 4070Yen, also 41Euro. Der nächste Bus kam 10 Minuten später (der darauf folgende wäre ca. 2 Stunden später gekommen). Ich hatte also richtig Glück gehabt, dass ich keine Pause gemacht hatte. Dennoch fühlte ich mich wie ein Häufchen Elend. Ich war nass geschwitzt vom Fieber, dem feuchten Klima oder der schieren Erschöpfung. Gesund war das alles garantiert nicht.

Busfahren… nun was soll ich sagen? Ich musste schmunzeln als nach Abfahrt ersteinmal eine Ansage mit weiblicher Stimme die trivialen Informationen über das Busfahren erklärte. Man solle sich anschnallen, nicht rauchen, seinen Müll mitnehmen und nicht Musik hören. Linksverkehr fühlt sich zunächst komisch an, aber man gewöhnt sich eigentlich relativ schnell daran, dass alles verkeht herum ist. Die Flut der Sinneseindrücke Japans ließen mir wenig übrig, sodass ich auch im Bus nicht schlafen konnte. Die Natur, die Ortschaften und die Gegenden allgemein beeindruckten mich sehr. Dass allerdings alles garnicht so grün war, wie es aussah, musste ich verststellen nachdem ich bemerkte, dass die Scheiben des Busses grün getönt waren. Dadurch sahen selbst die angefangenen Herbstfarben der Bäume und Pflanzen nach vollem grün aus…. dabei waren sie teilweise schon in Ockertönen. Was mir ausserdem auffiel waren die merkwürdigen Designs der Autos, die meist würfelförmig, gar nahezu kubisch waren. Familienautos und Kleinwagen, meist in Weiß und kantig. Europäische Wagen wie Mercedes oder BMW waren eine Seltenheit.

Ich fuhr zweieinhalb Stunden bis zur Ankunft am Bahnhof in Utsunomiya. Dort angekommen stand eine kleine hübsche Chinesin mit einem Schild in der Hand an der Bushaltestelle. Auf dem Schild stand in westlicher Schrift “Utsunomiya University”. Ich stellte mich auf Japanisch vor damit ihr klar wurde, dass ich derjenige war, auf den sie vermutlich wartete. Sie tat das gleiche. Ihr Name sei “Kaku”.

Kaku (Chinesin)

Nach ein paar kurzen wortwechseln machte ich ihr klar, dass ich etwas krank und ziemlich erschöpft sei. Kurz darauf trat dann noch ein anderes asiatisches mädchen mit kurzen Haaren dazu. “Stem” aus Thailand, ebenfalls Austauschstudent. Wir schnappten uns jeweils ein Taxi am Bahnhof und fuhren zum Studentenwohnheim, in dem ich nun wohne. Das Taxi wurde von der Uni bezahlt und der Weg bis zum Wohnheim war für mich ein Feuerwerk aus Informationen, die ich alle versuchte, in einen logischen Zusammenhang zu bringen. Mit dem massiv schlechten gesundheitlichen Zustand war das aber nahezu unmöglich.

Nach der Ankunft am Wohnheim begrüßte mich die Hausmeisterin des Wohnheimes, “Itou Mayumi” (Mayumi ist der Vorname). Sie war eine kleine, kinderlose Japanerin Ende 30. Für Japanerinnen üblich trug sie dunkles mittellanges Haar, dass sie zusammengebunden hatte. Ausserdem trug sie über ihrer normalen Kleidung eine Art Kochschürze…. wahrscheinlich damit ihre Kleidung von ihrer Arbeit nicht schmutzig würden. Sie gab mir ein DINA4 Couvert mit einem kleinen Stapel an Infozetteln darin… und meiner Schlüsselkarte, mittels der ich meine Tür öffenen und schliessen kann. Ich würde im Raum 104 wohnen. Das ist im Erdgeschoss. Ich schnappte mir meine Koffer und schleppte sie in mein Zimmer. Viel Zeit hatte ich aber wohl nicht, es mir darin gemütlich zu machen, denn es sollte bald weitergehen...



Ich bekam einen Schlüssel… für ein Fahrrad. Damit würden wir in die Stadt fahren und organisatorisches erledigen, sagte mir Kaku. Meine Erschöpfung ignorierend folgte ich ihr, zusammen mit Stem, auf dem Fahrrad, in die Stadt. Das Fahrrad ist ein, wie fast alle Fahrräder hier in der Gegend, altes niedrig gebautes Fahrrad mit einem Metallkorb vorn am Lenker. Silbern. Die Fahrradtour führte uns ca. 20 Minuten lang durch die engen Gassen und viel befahren Straßen Utsunomiyas. Ich hatte alle meine Papierunterlagen dabei, da ich sie wahrscheinlich auch brauchen würde. Wohin es ging? Zu diesem Zeitpunkt wusste ich das selbst garnicht genau, und es war mir auch eigentlich fast egal. Die Stadt so nah zu erleben war einfach toll genug, als dass mir der Rest schon egal war.








Um es ein wenig kurz zu fassen: Wir besorgten uns Einbürgerungsbescheinigung mit Wohnortsbestätigung, einen Stempel der als Unterschrift dienen sollte, eröffneten Bankkonten, aßen etwas und gingen im Supermarkt notwendiges Zeug einkaufen. Das alles dauerte den ganzen Tag lang.

Am Abend dann, als ich mit ca. 30 Stunden Schlafentzug in meinem Zimmer ankam, nahm ich endlich meine heiß ersehnte Dusche und fiel totmüde ins Bett.
Ich schlief allerdings nur ca. 5 Stunden lang, da der Schlafrhytmus ganz und garnicht zusammen mit der eigentlichen Zeit in Japan zusammenpasste. Das war mit Abstand der anstrengendste, aber auch gleichzeitg am meisten mit tollen neuen Eindrücken erfüllte Tag meines Lebens.

[Fortsetzung und Ergänzungen folgen…]

2 Kommentare:

  1. Nice Raf!
    Bin neugierig mehr von deiner Tour zu erfahren!!

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  2. Du Armer!! - Krank in einem neuen Land ankommen ist schlimm! (Ging mir damals auch so) Ich hab beim Lesen total mit dir mitgefühlt :)! Dein Zimmer ist doch nicht schlecht! Wenn du nicht soviel Platz hast, kannst du auch nicht so viel Durcheinander machen :D!!! Ich vermiss dich! Liebe Grüße aus Trier :)!!! Johanna

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